Letzte Woche haben wir uns darüber unterhalten, für welche Länder und demografischen Gruppen englischsprachige Websites eine Barriere darstellen. Heute beschäftigen wir uns mit Zielgruppen bzw. potentiellen Kunden, die passabel Englisch sprechen. Nachweislich sind Übersetzungen im E-Commerce auch dann von Vorteil, wenn die Kunden Englisch verstehen.
Ian:Nehmen wir an, ich will in Deutschland verkaufen und weiß, dass meine Zielgruppe größtenteils unter 40 ist. Die Zielgruppe spricht, soweit bekannt, hinreichend sicher bis fließend Englisch, sodass ich von guten Englischkenntnissen bei 80 % meiner deutschen Zielgruppe ausgehen kann. Wäre Englisch in diesem Fall nicht ausreichend?
Tim: Auch wenn jemand gut genug Englisch spricht, um sich durch meine Website zu graben, lautet die Antwort: Eine Website in der Muttersprache wäre ihm oder ihr lieber. Sogar dann noch, wenn er oder sie sehr gut Englisch spricht. Wenn deutsche Kunden die Wahl zwischen einem englischen und einem deutschen Shop haben, werden sie den deutschen wählen, einfach weil es bequemer für sie ist und sich irgendwie sicherer anfühlt. Die Muttersprache transportiert vielleicht etwas mehr Wärme, Feinheiten oder kulturelle Nuancen, und man muss sich nicht so sehr anstrengen.
Ian:Wenn man nicht grübeln muss, um einen Text zu verstehen, kann man sich natürlich besser auf andere Aspekte konzentrieren.
Tim:Genau. Und deshalb gibt es selbst in diesem Fall noch gute Gründe für eine Übersetzung.
Ein weiterer Aspekt: Wenn jemand Englisch als Zweitsprache hat, besucht er eine englischsprachige Website vielleicht nur, weil er auf der Suche nach einem günstigeren Preis ist. Wenn ich nur Englisch anbiete, laufe ich also Gefahr, Schnäppchenjäger anzulocken statt mit einer vernünftigen Marge zu verkaufen.
Stell dir Folgendes vor: Du hast eine deutsche Kundin, die eine Wanderjacke kaufen will, aber schon eine bestimmte Jacke im Auge hat und nur noch auf der Suche nach dem besten Preis ist. Sie wird nur auf englischsprachige Websites gehen, weil sie bereits weiß, was sie will und der Content für sie egal ist. Das heißt: Wenn man den Wettbewerb ausschließlich über den Preis führt, tut es Englisch wahrscheinlich auch, aber man bringt sich selbst um potenzielle Kunden und behält nur diejenigen, für die nur der Preis zählt.
Wenn man zufällig den günstigsten Preis bietet – in Ordnung. Aber man hat die besagte preisbewusste Kundin noch immer nicht von der eigenen Firma überzeugt, wenn man seinen Content nicht in ihrer Sprache anbietet. Selbst wenn der Preis das wichtigste Kriterium ist, haben die Leute noch andere Aspekte im Hinterkopf: Können sie sich darauf verlassen, dass die Lieferung ankommt, was passiert, wenn sie etwas umtauschen müssen, und welche Bewertungen können sie an ihrem Markt sehen, verglichen mit denen am Heimatmarkt des Anbieters? Wenn eine deutsche Kundin die Wahl hat, das Produkt in zwei Shops zum selben Preis zu kaufen, von denen einer deutsche Bewertungen und Inhalte bietet, wird sie sehr wahrscheinlich im deutschen Shop kaufen, selbst wenn der englischsprachige Shop einen etwas günstigeren Preis bietet. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Die Spanier beispielsweise sind extrem preisbewusst; für sie ist der Preis wichtiger als die Sprache. Für den Zielmarkt Spanien sollte man also eher überlegen Rabatte zu geben als zu übersetzen:
Wenn sich jemand die Mühe gemacht hat, sein Angebot in die Landesprache zu übersetzen, dann wird der Kunde das intuitiv so wahrnehmen, dass er/sie diesem Anbieter wichtig ist, wird ihm stärker vertrauen und bei ihm bestellen.
Man darf auch nicht vergessen, dass es bei den Kunden nicht gut ankommt, wenn man zwar alle produktbezogenen Verkaufs- und Marketinginhalte übersetzt, aber nicht den Kundenbetreuungsbereich des Shops. Unter dem Strich kaufen Kunden in vielen Märkten einfach nicht gern in Onlineshops, die kein Angebot in ihrer Sprache haben.
Ian:Auch die Frage, wie lange ich einen Kunden auf meiner Website halten kann, hat sicherlich damit zu tun, ob ich übersetzten Content oder nur Englisch anbiete.
Tim: Natürlich verbringen die Besucher mehr Zeit auf Websites in ihrer Muttersprache – auch das wieder unabhängig davon, wie gut sie Englisch sprechen. Und bekanntermaßen sorgen Kunden, die stärker mit dem Content auf einer Website interagieren, für mehr Conversions. Dass Besucher wiederkommen, ist mit einer landessprachlichen Website übrigens ebenfalls wahrscheinlicher.
Wenn Wettbewerb über den Preis mein einziges Ziel ist, werden mich die Leute finden und ein einziges Mal bei mir kaufen, weil ich den niedrigsten Preis habe, aber sie werden kaum wiederkommen. Wenn ich eine dauerhafte Beziehung mit meinem Kunden herstellen will, damit der Kunde zu meinem Shop zurückkommt, muss ich meinen Content unbedingt in seiner Sprache anbieten. Übersetzung steigert den Umsatz, und das ist für viele Firmen der einzige Grund, Geld dafür auszugeben!
Ian:Gibt es Gründe für ein Unternehmen, den Kundenbetreuungsbereich seines Onlineshops nicht zu übersetzen, wenn er den produktbezogenen Content übersetzt hat?
Tim:Man muss sich die Frage stellen, ob man in der Lage ist, dem Verbraucher am betreffenden Markt einen Rundum-Service zu bieten. Sonst kann es passieren, dass man viel Geld für die Übersetzung des Shop-Contents ausgibt, die Kunden dann aber mit anderen, für sie wichtigen Fragen, im Regen stehen lässt. Ein großes Thema bei der Kundenbetreuung sind beispielsweise Rücksendungen. In den meisten Ländern, vor allem aber in Deutschland, gehen die Kunden heute davon aus, dass Rücksendungen bei Online-Käufen kostenfrei sind. Man kann also einen großen Fehler machen, wenn man keine kostenfreien Retouren anbietet. Was bringt es, in Deutschland mit schickem Content auf Deutsch anzutreten, dann aber keine kostenfreien Rücksendungen anzubieten?
Das muss man zu Ende denken und sich in die Lage des Kunden versetzen. Von hier geht es natürlich weiter zum Thema Social Media: Soll man in anderen Märkten in Sachen Kundenerlebnis genauso vorgehen wie im eigenen Markt? Man trifft die Entscheidungen in Bezug auf gewisse Geschäftsziele und muss sich überlegen, ob diese Ziele umsetzbar bzw. realistisch sind. Denn dazu gehört mehr, als nur den Content ins Französische oder Japanische zu übersetzen. Wenn man nicht alle erfolgsentscheidenden Aspekte beachtet und zum Beispiel das Thema SEO bei Übersetzungen ins Japanische ignoriert, dann ist das ein schwerer Fehler.